Rudolf Linder
Linder, Rudolf, (1818–1858), Sohn des 1833 vertriebenen Ziefner Pfarrers Johannes
Linder-Merian. 1843–51 Pfarrer in Tenniken-Zunzgen, 1851–58 in Ziefen. Rudolf Linder nahm regen Anteil an Breitensteins theologischer Ausbildung, besonders was die Studien in Göttingen betraf.
Mein lieber junger Freund,
Damit es nicht länger den Anschein habe, als sei ich ganz gleichgültiger Empfänger Ihres Briefes vom 20t. Juli gewesen, will ich endlich einmal mit ein paar Zeilen Sie begrüßen. Sie haben mir mit Ihrem Schreiben viele Freude u. Genuß bereitet, und nicht mir allein, auch Mehreren meiner Freunde, denen ich davon Mittheilung machte. Es ist halt für unser basellandschaftliches Kirchlein von großem Werth, wenn aus seinem Schooße Männer hervorgehen, die, außer atheniensischem Salz u. klassischem Wissen, vor Allem als Jünger Jesu das Salz der Erde u. das Licht der Welt haben u. sind. Ihr l. Brief gibt Zeugniß, daß wir Solches von Ihnen u. Ihrem landsmännischen Studiengenossen zu hoffen berechtigt sind. Mich freute hauptsächlich zu sehen, daß Sie in der Bibel stehen u. immer mehr fußen wollen. Unsere theolog. Wissenschaft ist gottlob heutzutage auf dem Wege sich aus der Bibel heraus zu verjüngen, u. Jes: 40, fin. wird auch an ihr in Erfüllung gehen. Die hiesige theolog. Prüfungskommission hat mit Rechtdarauf ihre Hauptaufmerksamkeit gerichtet: Sind unsre jungen Theologen auch in der Bibel zu Hause? Ich bedaure lebhaft, daß man in Deutschland theilweise so große Dinge auf das konfessionelle Bewußtsein hält. Unser Heiland will Bekenntnißmänner nicht Bekenntnißschriften, auf jene baut er seine Gemeine. Schriften kann ich auswendig lernen, und, wie Sie schreiben, mir ein Bettlein daraus machen, aber solche Bequemlichkeit für Fleisch u. Blut kriegt nichts geoffenbart cf. Mtth. 16. Auch daß Sie Mission treiben, ist sehr schön. Der Pfarrer muß nie vergessen woher er gekommen. Und wie die Wissenschaft aus der Bibel sich verjüngt, so das Pfarramt aus der Mission, hauptsächlich aus der selbst betriebenen. Gerade so viel Wesens davon zu machen wie der neuerdings mit dem Doktorhut gekrönte Wichern, thut nicht Noth. Es soll nur Jeder Joh. 13 praktiziren, so viel ihm Gott Gnade gibt. Göttingen ist mir ein klein wenig bekannt. Ich war im Herbst 39 auf einer Reise 1–2 Tage dort. Es waren aber Ferien. Ich besuchte nur Prof. Redepenning, bei dem ich in Bonn Kirchengeschichte gehört hatte, u. der mich dort sehr freundschaftlich empfangen. Ich kenne ihn auch ungefähr so, wie Sie ihn geschildert haben. Wenn Sie gelegentlich meinen Namen seinem Gedächtniß zurückrufen, u. mich ihm empfehlen wollen, so freut es mich. – Prof. Ewald hörte ich in Tübingen ein paar Mal, ein vornehmer Herr! Von Ehrenfeuchter habe ich mit vielem Interesse die Entwicklungsgeschichte der Menschheit gelesen. Gieselers Kirchengeschichte habe ich theilweise studirt. Am wenigsten kenne ich Ihren gefeierten Lücke. Ich gestehe Ihnen offenherzig: er schien sich mir etwas zu sehr Schleiermachern zuzuneigen in seiner frühern dogmat. Anschauung zumal. Und da ich in Nitzsch schon einen der bedeutenderen Schleiermacherischen Ausläufer kannte, und verehrte, hatte es auch weniger Anziehendes H. Lücke auch noch des nähern anzusehen. Vielleicht, wenn ich den Mann näher kennte, wäre mir die Lücke fühlbarer, die das Nichtkennen seiner in meinem theolog. Wissen verursacht. Da aber in diesem Leztern überhaupt so viel Mangelhaftes ist, so mag ich auch Jenes eher vermissen, bis Sie, von Göttingen zurück, aus Ihrem reichen Schatz mir mittheilend, diese u. jene Lücken etwas ausfüllen werden. Göttingen ist von Altem her als eine Universität bekannt, wo man arbeitet. Ich denke aber, Sie werden es nicht machen wie zwei Südländer, die in einer nordischen Universität Tag u. Nacht auf ihrem Zimmer saßen, ochsten, wie man zu reden pflegt, wirkl. famos; aber eigentl. eben so gut dieß zu Hause hätten thun können. Machen Sie sich den Umgang mit den Norddeutschen ja zu Nuz, sie sind zungenfertig, manchmal höchst oberflächlich; aber man kann – vorausgesezt, daß es brave Leute sind von Ihrem Sinn, – doch viel von ihnen lernen.
Schreiben Sie mir bald, wie Ihnen die Kollegia diesen Winter behagen. Sie hören ja Dogmatik. Daß Sie nicht nach Erlangen gingen, freut mich. E. ist für Füchser sehr gut; aber nicht für ältere St. Ob Sie vielleicht wohlgethan hätten Berlin od. Bonn zu besuchen? Ich begreife aber auch ganz gut, daß Sie in G. geblieben sind. Ihre Eltern u. Verwandten sind wohl, erwarten in diesen Tagen Nachrichten von Ihnen, u. tragen mir viele Grüße an Sie auf. Nehmen Sie in diesen paar Zeilen auch ein herzliches Andenken auf Ihres
Rud. Linder Pfr.